Die Bibel ist einzigartig. Nur wenige haben sie wirklich gelesen, doch die meisten haben eine Meinung im Bezug auf sie. Die Bibel selbst erklärt, dass sie Gottes Offenbarung an die Menschen ist und somit unfehlbare Autorität besitzt. Sie beansprucht für sich, Wahrheiten zu offenbaren, die auf keine andere Weise erkannt werden können.
Es gibt Dutzende verschiedener Übersetzungen der Bibel, und regelmäßig kommen weitere hinzu. Manche erheben den Anspruch, Werke von Gelehrten zu sein und die Worte der ältesten Manuskripte widerzuspiegeln. Andere wollen "im Trend" liegen – heutigen Werten und besonderen Interessen genügen. Ist die eine so gut wie die andere, oder sollten wir manche Übersetzungen mit Vorsicht betrachten? Dies sind wichtige Fragen, die eine genaue Antwort erfordern, wenn jemand die Bibel als einen ernstzunehmenden Leitfaden für das Leben betrachten will.
Der Abschnitt der Bibel, den wir im Allgemeinen das Alte Testament nennen, wurde in den Tagen des Priesters Esra und des Gouverneurs Nehemia vollendet, etwa um 420 v.Chr. Esra wurde im Jahre 457 v.Chr. von König Artaxerxes von Persien mit den Schriftrollen und anderen Schätzen des Tempels, die seit der Zeit Nebukadnezars in Babylon aufbewahrt worden waren (Esra 7, 14), nach Jerusalem gesandt. Esra kam zurück, um das Volk aus den Schriften zu lehren (Vers 10) und religiöse Reformen einzuleiten. Dieses Volk war zu jener Zeit nahe daran, seine Identität zu verlieren und die heidnischen Bräuche seiner Nachbarn anzunehmen. Etwa 13 Jahre nach Esras Rückkehr kam auch Nehemia als Gouverneur zurück und besaß die Autorität, Esras Reformen umzusetzen.
Flavius Josephus, jüdischer Historiker und Priester des 1. Jahrhunderts zeichnete die Geschichte der hebräischen Schriften auf und verglich sie mit den Werken griechischer Literatur, die zu seiner Zeit verfügbar waren. "Denn wir haben keine unermessliche Vielzahl von Büchern unter uns, die sich gegenseitig widersprechen [wie es die Griechen haben], sondern nur 22 Bücher ... von denen wir zu Recht glauben, dass sie göttlicher Natur sind ..." (Against Apion[Gegen Apion], 1, 8). Josephus führte weiter aus, dass die jüdischen Schriften in ihrer endgültigen Form in den Tagen von König Artaxerxes zusammengestellt worden waren, welcher zur Zeit Esras und Nehemias regierte. Er betonte, dass seitdem zwar noch viele weitere Bücher geschrieben worden seien, aber von keinem Weiteren geglaubt würde, dass es göttliche Autorität besäße, da es seit der Zeit Maleachis, eines späten Zeitgenossen Esras und Nehemias, keine weiteren Nachfolger der Propheten gegeben habe. Außer bei Josephus finden sich auch im 1. Buch der Makkabäer (2. Jahrhundert n.Chr.), bei Philo, einem Philosophen des 1. Jahrhunderts, und in den jüdischen Traditionen, die im Seder Olam und dem Talmud (altertümliche Kommentare) überliefert sind, überall Zeugnisse, die von einem festgelegten Kanon seit der Zeit Esras berichten.
Die 22 Bücher, die Josephus erwähnt, entsprechen den Büchern unseres Alten Testaments – die in modernen Übersetzungen normalerweise als 39 Bücher gezählt werden. Die unterschiedliche Anzahl entstand durch eine andere Zählweise der Bücher. Die 12 kleinen Propheten wurden zum Beispiel im Hebräischen auf einer Schriftrolle niedergeschrieben, und wurden einfach als ein Buch gezählt, nicht als 12 getrennte Bücher. Und es gibt noch einige ähnliche Zusammenschlüsse.
Wie können wir aber wissen, ob der Text des Alten Testaments genau überliefert wurde? Die jüdische Gemeinde hat das Alte Testament offiziell in Form des so genannten masoretischen Textes überliefert. Wie wurde das gemacht? Lesen Sie die Erklärung in Anhang 30 der Companion Bible: "Der Text selbst war schon festgelegt, bevor die Masoreten mit seiner Überlieferung betraut wurden ... die Masoreten waren dessen autorisierte Verwalter. Ihre Aufgabe war es, ihn zu bewahren. Die Masorah wird ‚ein Zaun für die Schriften' genannt, weil sie allen Wörtern und Buchstaben einen festen Platz zuweist... . Sie hält fest, wie oft welcher Buchstabe in den einzelnen Büchern vorkommt, sowie die Anzahl der Wörter und das mittlere Wort; die Anzahl der Verse und den mittleren Vers ... , mit dem gesteckten Ziel, den geheiligten Text zu beschützen und zu vermeiden, dass auch nur ein einziges Wort oder ein einziger Buchstabe verloren geht oder an die falsche Stelle gerät." Diese peinlich genaue Sorgfalt bis ins Detail ist der Hintergrund für Jesu Anmerkung in Matthäus 5, 18, dass auch nicht der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz vergehen würde. Der kleinste Buchstabe ist das Jota im hebräischen Alphabet, und das Tüpfelchen bezeichnet einen Teil eines Buchstabens.
Das Neue Testament
Obwohl die hebräischen Schriften seit der Zeit Esras vollständig waren, war Gottes Offenbarung an die Menschen noch nicht beendet. Im Anschluss an Jesu Auferstehung wurden Berichte über sein Leben und Wirken geschrieben. Auch Briefe an die sich ausbreitenden Gemeinden wurden verfasst. Im Laufe der Jahrzehnte verschwanden zunehmend die Menschen, die direkte Zeugen dessen waren, was Jesus Christus sagte, und was er tat. Falsche Lehrer kamen auf, die ein "anderes Evangelium" lehrten (2. Korinther 11, 4). Sie schrieben ebenfalls Briefe und unterzeichneten sie oft mit dem Namen eines der Apostel (2. Thessalonicher 2, 2). Wie konnte angesichts solcher Verwirrung für künftige Generationen und Jünger bewahrt werden, was Christus und seine Apostel wirklich gelehrt hatten?
Petrus schneidet dieses Thema im 2. Petrusbrief an, dem letzten Brief, den er schrieb. Geschrieben kurz vor seiner Hinrichtung, nicht lange nach dem Tod des Apostels Paulus, erwähnt Petrus hier, worum es geht. Im Bezug auf seinen nahe bevorstehenden Tod (2. Petrus 1, 14) schreibt er: "Ich will mich aber bemühen, dass ihr dies allezeit auch nach meinem Hinscheiden im Gedächtnis behalten könnt" (Vers 15). Die einzige Möglichkeit, wie er eine dauerhafte Aufzeichnung dessen, was er gesagt hatte, sicherstellen konnte, war, Schriften zu hinterlassen, die offiziell als heilige Schriften ausgewiesen waren.
Beginnend mit Vers 16 wechselt Petrus plötzlich von der ersten Person Singular zum Gebrauch von "wir," der ersten Person Plural. Wer waren diese "wir," auf die sich Petrus in den Versen 16-19 bezog? Er definiert das "wir" in Vers 18 als diejenigen, die die Verklärung Jesu auf dem Berg miterlebt haben. Dieses Ereignis wird detailliert in Matthäus 17, 1-13 beschrieben, wo wir lesen, dass nur Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes Jesus auf den Berg begleitet hatten und direkte Augenzeugen dieses Ereignisses geworden waren. Jakobus, der Bruder von Johannes war der erste der Apostel, der den Märtyrertod starb (Apostelgeschichte 12, 1-2). Zu der Zeit, als Petrus den 2. Petrusbrief schrieb, war er bereits seit Jahrzehnten tot. Daher kann sich das "wir," das Petrus erwähnt, nur auf ihn und Johannes beziehen.
In 2. Petrus 1, 19 fährt er fort, zu erklären, dass "wir" – er und Johannes – die Einzigen sind, die noch übrig sind, die das prophetische Wort um so fester haben. Mit anderen Worten machte Petrus seine Leser darauf aufmerksam, dass er und Johannes die letzten waren, die noch einen verlässlichen Bericht geben konnten, um die christliche Gemeinschaft in künftigen Generationen, lange nach dem Tod der ursprünglichen Jünger, zu leiten.
In 2. Petrus 3, 15-16 bezieht sich Petrus in einer Weise auf die Schriften des Apostels Paulus, die erkennen lässt, dass diese vollständig waren, und erwähnt "alle" Briefe. Er erwähnt auch Leute, die diese Schriften "verdrehen, wie auch die andern Schriften." Petrus definierte Paulus' Briefe als Schriften auf gleicher Ebene wie die "anderen Schriften" des Alten Testaments und gab zu verstehen, dass Paulus nicht mehr lebte, um sich dagegen zu wehren, dass jemand deren Bedeutung verdrehen wollte.
Es gibt 27 Bücher im Neuen Testament, fünf davon werden dem Apostel Johannes zugeschrieben. Man nimmt an, dass diese etwa 3 Jahrzehnte nach dem Tod des Apostels Petrus geschrieben wurden. Daraus kann man herleiten, dass Petrus vor seinem Tod einen Kanon von 22 Büchern zusammengestellt hat, was nach jüdischer Zählung genau der Anzahl von Büchern im Alten Testament entspricht. Der Apostel Johannes schloss dann den neutestamentlichen Kanon ab, indem er seine fünf Bücher hinzufügte – ein Evangelium, drei Briefe und das Buch der Offenbarung – zu insgesamt 27 Büchern. Die 22 Bücher der hebräischen Schriften ergeben zusammen mit den 27 griechischen Schriften zusammen 49 Schriften – sieben mal sieben, Gottes Zahl für Vollständigkeit und Vollendung.
Diese Angaben zeichnen ein wesentlich anderes Bild als römisch-katholische Behauptungen, die angeben, dass der Kanon des Neuen Testaments auf dem Konzil von Karthago 397 n.Chr. festgelegt worden sei. Wie verlässlich ist diese Behauptung? Was geschah wirklich auf diesem speziellen Konzil?
Da wir keine gebundene Fassung des Neuen Testaments mit allen seinen Schriften aus dem Jahr 100 n.Chr. haben, welchen Beweis haben wir dann, dass die Bücher, die wir als das Neue Testament kennen, bereits vor dem Konzil von Karthago als heilige Schrift anerkannt waren? Unter anderem haben wir die Zeugnisse früher Schreiber nur wenige Jahre nach dem Tod des Apostels Johannes. Diese Männer – unter ihnen Clemens von Rom, Polycarp, Ignatius und Justinian der Märtyrer – schrieben allesamt innerhalb von 50 Jahren nach dem Tod von Johannes. Sie zitieren aus verschiedenen neutestamentlichen Büchern und zeigen so, dass diese bekannt und als inspirierte Schriften anerkannt waren.
Weshalb waren dann mehrere, sich widersprechende Kanon-Listen im Umlauf? Und was können wir aus ihnen lernen? Der Muratorische Kanon war um das Jahr 200 n.Chr. in Rom in Gebrauch. Er erwähnt nicht den Hebräerbrief, 1. und 2. Petrus und 3. Johannes, erwähnt dafür aber zwei unechte Werke – "Die Offenbarung des Petrus" und "Weisheiten Salomos." Und schon bald danach, als Origenes seinen Kanon zusammenstellte, zwang ihn die uninspirierte Natur dieser zwei unechten Werke, sie gänzlich herauszunehmen. Origenes' Liste war im Übrigen fast mit dem Muratorischen Kanon identisch, außer dass er 1. Petrus mit einschloss, und dafür Jakobus, 2. Johannes und Judas herausnahm. Kurz vor dem Konzil von Nicäa 325 n.Chr. gab Eusebius eine Liste von Büchern heraus, die von den westlichen, "orthodoxen" Kirchen als Teile des Neuen Testaments anerkannt wurden. Seine Liste war praktisch identisch mit der Liste von Origenes.
Weder Origenes noch Eusebius wollten den Hebräerbrief oder die nicht-paulinischen Briefe akzeptieren, aber sie erkannten an, dass diese Bücher existierten und dass viele sie als inspiriert ansahen. Diese beiden Männer befürworteten auch die Aufnahme einiger anderer, unechter Werke, wie zum Beispiel den "Brief des Barnabas." Doch obwohl Origenes und Eusebius einflussreiche Theologen waren, war es ihnen nicht möglich, ihren Willen durchzusetzen, und so blieb der Kanon, den Johannes festgesetzt hatte, intakt – ein beeindruckender Beweis für Gottes Hand in der Bewahrung seines inspirierten Wortes.
Es ist bemerkenswert, dass während der Debatten um den Inhalt des Kanons die Schriften, die am meisten den Widerstand dieser frühen römisch-katholischen Führer hervorriefen, zwei Charakteristiken gemeinsam hatten. Sie enthielten entweder Warnungen vor einem Abfallen von der Wahrheit des Glaubens (2. Petrus, 2. und 3. Johannes und Judas) oder sie besaßen einen starken "jüdischen Beigeschmack" (Jakobus und Hebräer).
Mit Sicherheit war vielen römisch-katholischen Führern die Botschaft in diesen Büchern unbehaglich – und das aus gutem Grund! Doch es existierte ein so unumstößliches Bewusstsein der wahren Natur dieser Bücher, besonders in Kleinasien und Griechenland, dass es sich als unmöglich erwies, sie aus dem Neuen Testament zu entfernen. Weit davon entfernt, den Kanon des Neuen Testaments festzulegen, repräsentierte das Konzil von Karthago lediglich die Anerkennung durch die Römisch-Katholische Kirche, dass der Kanon, der seit dem Ende des ersten Jahrhunderts aufgestellt worden war, nicht geändert werden konnte.
Griechische Übersetzungen der Schriften
Sollten wir uns Sorgen machen, dass manche neutestamentliche Zitate aus dem Alten Testament aus einer griechischen Übersetzung – der Septuaginta – entnommen wurden, anstatt aus dem hebräischen, masoretischen Text? Griechisch war zu der Zeit, als das Neue Testament geschrieben wurde, beinahe so etwas wie eine Weltsprache. Aus dem Heidentum bekehrte Leute waren der hebräischen Sprache nicht mächtig, und selbst die meisten Juden außerhalb Palästinas konnten das Hebräische nicht mehr so flüssig lesen.
Die Septuaginta war eine griechische Übersetzung des Alten Testaments, die in Ägypten angefertigt worden war. Doch sie war nicht die einzige Übersetzung des Alten Testaments zu jener Zeit. Es gab mindestens eine weitere Übersetzung ins Griechische, die sich entscheidend von der Septuaginta unterschied. Diese wurde von Theodot im zweiten Jahrhundert n.Chr. für seinen revidierten griechischen Text des Alten Testaments benutzt. Das Buch Daniel entspricht in der durch Theodot überlieferten Version bei Weitem mehr den Zitaten aus dem Buch Daniel im Neuen Testament, als das zum Beispiel bei der Septuaginta der Fall ist. Obwohl keine der griechischen Übersetzungen des Alten Testamants völlig korrekt war, befanden sich die meisten Abweichungen vom hebräischen Text in Bereichen, die nicht den Gesamtzusammenhang der Botschaft berührten.
Existierende griechische Übersetzungen des Alten Testaments, einschließlich der Septuaginta, finden sich in Zitaten im griechischen Neuen Testament wieder, wo sie entweder den inspirierten hebräischen Text genau übersetzen oder seine Bedeutung korrekt umschreiben. In den Fällen, wo die verfügbaren griechischen Übersetzungen aus dem ersten Jahrhundert nicht zu gebrauchen waren, verfassten die Autoren des Neuen Testaments ihre eigene, direkte Übersetzung oder Umschreibung aus dem Hebräischen ins Griechische.
In ihrem umfassenden Werk Old Testament Quotations in the New Testament [Alttestamentliche Zitate im Neuen Testament] streichen Gleason Archer und G.C. Chirichigno die folgenden Punkte über Zitate im Neuen Testament heraus: 1) bei 268 neutestamentlichen Zitaten befinden sich die Septuaginta und der masoretische Text in völligem Einklang; 2) bei 50 Zitaten entspricht das Neue Testament der Septuaginta, auch wenn es leicht vom masoretischen Text abweicht (wenn auch nicht stark genug, um die Bedeutung zu verändern); 3) bei 33 Zitaten richtet sich das Neue Testament mehr nach dem masoretischen Text, als nach der Septuaginta; 4) bei 22 Zitaten richtet sich das Neue Testament mehr nach der Septuaginta, auch wenn es dabei von dem masoretischen Text etwas abweicht. Die Autoren des Neuen Testaments gebrauchten die Septuaginta nur dann, wenn die zitierten Passagen die inspirierte Bedeutung des hebräischen Textes richtig wiedergaben. Die richtige Bedeutung konnte in manchen Fällen auch durch die Septuaginta wiedergegeben werden, selbst wenn diese eher eine Umschreibung oder Interpretation, als eine wörtliche Übersetzung des hebräischen Textes war.
Wie steht es um die erhaltenen Texte des Neuen Testaments? Es gibt buchstäblich Tausende von vollständigen oder in Teilen erhaltenen Manuskripten, die aus frühester Zeit erhalten sind. Das älteste Manuskript ist ein Fragment aus dem Johannesevangelium, das um das Jahr 130 n.Chr. datiert wird, nur etwa 30 Jahre nach Johannes' Tod (Eerdman's Handbook to the History of Christianity [Eerdmanns Handbuch zur Geschichte des Christentums], Seite 93).
Die meisten griechischen Manuskripte, die uns erhalten sind, stammen aus der von Gelehrten so genannten byzantinischen (oder antiochischen) Textfamilie. Obwohl diese Manuskripte nicht die Ältesten sind, sind es diese, die von der griechischen Kirche bewahrt werden. Da sie die große Mehrzahl griechischer Manuskripte darstellen, werden sie manchmal auch als Mehrheitstext oder Textus Receptus bezeichnet. Aus diesem Text wurde zum Beispiel die englische King James Bibel, die deutsche Elberfelder Bibel und die Lutherbibel bis 1912 übersetzt. Doch seit 1881 wurden noch andere griechische Texte veröffentlicht, die in der Folge als Basis für fast alle weiteren Übersetzungen dienten, unter anderem auch für die englischsprachigen New International Version, New American Standard Bible, und New English Bible, sowie für Revisionen der Lutherbibel seit 1956. Diese veröffentlichten Texte vertrauten stark auf die Verlässlichkeit zweier altertümlicher, griechischer Manuskripte, genannt Codex Vaticanus (auch als "B" bekannt) und Codex Sinaiticus (auch als Aleph bekannt). Woher hatten diese Manuskripte ihren Ursprung?
Der Codex Vaticanus wurde 1481 im Vatikan "entdeckt" und in Form der jesuitischen Rheims-Bibel 1582 veröffentlicht. Er unterscheidet sich in fast 8000 Stellen vom Textus Receptus. Durch den Gebrauch neuer Technologien wie einer "Vidicon-Kamera," die eine digitale Form verblasster Schriften erstellt, wurde gezeigt, dass der Codex Vaticanus durch wenigstens zwei Personen verändert wurde, von denen mindestens eine Veränderung erst im 12. Jahrhundert vorgenommen wurde. Der anerkannte Gelehrte Dr. Bruce Metzger bemerkte: "Ein paar Passagen bleiben also übrig, die das ursprüngliche Erscheinungsbild der ersten Korrektur erkennen lassen. Der Korrektor "ließ aus, was er für falsch hielt" (Manuskripts of the Greek Bible [Manuskripte der griechischen Bibel], Oxford University Press, Seite 74).
Der Codex Sinaiticus wurde um das Jahr 1850 von Constantin von Tischendorf in einem Kloster in der Wüste Sinai entdeckt. Er unterscheidet sich in etwa 9000 Stellen vom traditionellen, byzantinischen Text (Textus Receptus). Dr. Bruce Metzger beschreibt die Sorglosigkeit, mit der die Sinaiticus-Manuskripte übertragen wurden. Er erklärt, dass im Laufe der Jahrhunderte mindestens neun "Korrektoren" die Manuskripte überarbeitet haben. "Tischendorfs Ausgabe dieses Manuskripts listet etwa 14800 Stellen auf, an denen der Text verändert wurde" (Seite 77). Der spätere Einsatz von UV-Lampen brachte mehrere weitere Stellen ans Licht, an denen die ursprüngliche Lesart ausradiert wurde.
Sinaiticus und Vaticanus stehen nicht nur im Widerspruch zu der überwiegenden Mehrzahl von Manuskripten, sondern sie widersprechen sich auch gegenseitig vielleicht ein Dutzend Mal auf jeder Seite. Auch wenn viele dieser Widersprüche klein sein und nur eine Präposition oder die Rechtschreibung eines Wortes betreffen mögen, so zeigt sich doch an anderen Stellen, dass ganze Verse ausgelassen wurden, wie zum Beispiel das Ende des Markusevangeliums. Als der Apostel Johannes vor seinem Tod am Ende des ersten Jahrhunderts unser Neues Testament in die endgültige Form brachte, lebte er in Ephesus, einer griechischsprachigen Stadt an der Westküste Kleinasiens (in der heutigen Türkei). Es war dieselbe Stadt, die Jahrzehnte zuvor als Lagerstätte für Kopien der Schriften von Paulus gedient hatte. Und diese Stadt wurde auch in Offenbarung Kapitel 2 repräsentativ für das gesamte erste Zeitalter der Kirche Gottes erwähnt. Die griechischen Manuskripte, die aus dieser Gegend stammen, nennen Gelehrte die byzantinischen Manuskripte.
Schriftgelehrte, die im 15. Jahrhundert vor der türkischen Invasion aus dieser Gegend flohen, brachten byzantinische Texte mit nach Westen. Viele dieser griechischen Gelehrten und die Manuskripte, die sie mit sich brachten, gelangten nach dem Fall Konstantinopels 1453 in die Gegend von Basel in der Schweiz. In erster Linie aus diesen Texten sind die gedruckten Texte von Erasmus (1516) und Stephanus (1520) abgeleitet. Der gedruckte Text von Stephanus wurde als Standardtext des Textus Receptus zum akzeptierten Standard des griechischen Neuen Testaments bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Seit dem 19. Jahrhundert wurden Bibelübersetzungen weiteren Veränderungen unterworfen. Da man die Idee verwarf, dass die Bibel übernatürlich inspiriert und überliefert wurde, sind viele Gelehrte dazu übergegangen, anzunehmen, dass die ältesten Manuskripte, egal aus welcher Quelle sie stammen, dem ursprünglichen Originaltext näher kommen und deshalb genauer sein müssen. Die meisten Bibelübersetzungen des 20. Jahrhunderts, mit Ausnahme der englischen New King James Version, gebrauchen Texte, die durch solche Textkritiker bearbeitet wurden, und haben die Lesarten des offiziell überlieferten Texts in Fußnoten verbannt. Obwohl solche Übersetzungen für das Bibelstudium hilfreich sein können, sollten sie mit Vorsicht betrachtet, und nicht gegenüber den historisch fundierteren Texten vorgezogen werden. Denn auch wenn keine unserer modernen Übersetzungen in allen Punkten zu einhundert Prozent mit dem inspirierten Urtext übereinstimmt, besitzen doch die auf dem Textus Receptus basierenden Ausgaben im Zweifelsfall die größere Glaubwürdigkeit.
Der Gott der Schöpfung hat nicht nur das ursprüngliche Schreiben der Bibel inspiriert, sondern auch den Prozess der Kanonisation und Überlieferung gelenkt. Trotz zahlreicher Versuche fleischlich gesinnter Menschen, das Wort Gottes im Lauf der Jahrhunderte zu unterdrücken oder zu verzerren, war Gott treu und fähig, sein "Anleitungsbuch" für das Leben für uns heute zu bewahren.
WKB, April 2002
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Englischer Titel: How Did We Get the Bible?
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der revidierten Lutherbibel 1984 entnommen.
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